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Bonner Erklärung „Versicherungsvertrieb der Zukunft – „Gamechanger“ KI?

Die Vorsitzenden der Vertretervereinigungen der deutschen Versicherungsunternehmen, das Präsidium des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) sowie die Vorstände des Arbeitskreises Vertretervereinigungen der Deutschen Assekuranz e.V. (AVV), die zusammen mehr als 40.000 Versicherungsvermittler in Deutschland repräsentieren und damit die weitaus größte Interessenvertretung der Versicherungs- und Bausparkaufleute in Deutschland und Europa sind, verabschiedeten in Bonn die nachstehenden Positionen.

1. Aktuelle Herausforderungen im Versicherungsvertrieb

Die teils überbordende Regulierung des Versicherungsvertriebs ist inzwischen die zentrale Herausforderung für Vermittler. Insbesondere die immer wiederkehrenden Debatten um eine Begrenzung von Provisionen sorgen für Unsicherheiten. Einmal mehr ist es nur durch intensive Interessenvertretung in Brüssel nach derzeitigem Stand gelungen, ein Provisionsverbot im Rahmen der EU-Kleinanlegerstrategie weitgehend abzuwenden. Dennoch müssen noch die Ergebnisse der nun anstehenden Trilogverhandlungen zwischen dem EU-Rat, dem neu gewählten Parlament und der Kommission abgewartet werden.

Von Seiten der EU kommt zudem weiterhin eine Vielzahl an Regulierungsthemen von Geldwäsche bis KI-Regulierung auf die Vermittler zu.

Auch das Vergütungsthema wird früher oder später wieder auf der Agenda der Politik stehen. Versicherer und Vertriebe sind nun gefragt, einzelne überhöhte Vergütungen zu reduzieren und weiterhin eine auskömmliche Vergütung der Vermittler zu ermöglichen. Die Vermittler appellieren an die Branche, Incentives und Bonifikationen zugunsten einer auskömmlichen laufenden Vergütung umzustellen und die Bewährungsprobe der EU ernst zu nehmen.

2. Versicherungsvertrieb der Zukunft – „Gamechanger“ Künstliche Intelligenz (KI)?

KI hat das Potenzial, Wirtschafts- und Unternehmenswirklichkeiten grundsätzlich zu verändern und damit auch den Versicherungsvertrieb.

Die Unternehmen der Versicherungsbranche gelten aufgrund der besonderen Bedeutung großer Datenbestände und deren Verarbeitung grundsätzlich als prädestiniert für den Einsatz von KI.

Vermittlerbetriebe sind mit ihrem Geschäftsmodell unabhängig von der individuellen Zugehörigkeit zu einem Vertriebsweg von den Entscheidungen der Versicherungsunternehmen betroffen. Gleichzeitig kann die Prüfung von Stärken und Risiken eines eigenverantwortlichen Einsatzes KI-gestützter Lösungen eine Effizienzsteigerung der Vermittlerbetriebe bedeuten. Daneben werden weitere positive Impulse für die Kreativität und das Innovationspotenzial sowohl in den internen als auch auf die auf den Kunden gerichteten externen Prozessen erwartet.

Die Vermittler sehen Chancen, durch den Einsatz KI-gestützter Anwendungen innerhalb ihres Geschäftsmodells Effizienzsteigerungen zu generieren. Gleichzeitig sind sie sich bewusst, dass die Anwendung KI-gestützter Anwendungen aktuell noch erhebliche Risiken, insbesondere mit rechtlichem Hintergrund, mit sich bringt.

Der BVK sieht sich als Berufs- und Unternehmerverband verpflichtet, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Vermittler auch beim Einsatz KI-gestützter Anwendungen aktiv zu gestalten und Unterstützungen anzubieten.

Beim Einsatz von KI-gestützten Systemen und Modellen im Zusammenhang mit den Governance-Prinzipien setzt sich der BVK für eine ethische und verantwortungsvolle KI im europäischen Versicherungssektor ein.

In Zusammenarbeit mit allen Entscheidungsträgern, auch im internationalen Umfeld, wird der BVK die Weiterentwicklung des Einsatzes von KI in der Versicherungswirtschaft aktiv begleiten und vorantreiben, und dabei weiterhin den Grundsatz „Kein Vertrieb ohne persönliche Beratung“ betonen.

Der BVK spricht sich beim Einsatz von KI sowohl in der Versicherungswirtschaft als auch in den Vermittlerbetrieben für die Einhaltung bestimmter Regeln aus.

  • Prinzip der Verhältnismäßigkeit:
    Der Einsatz von KI sollte proportional zu ihrem Einfluss auf Verbraucher, Vermittlerbetriebe und Versicherungsunternehmen sein.
  • Prinzip der Fairness und Nicht-Diskriminierung
    Versicherer und Vermittler sollten faire und nicht-diskriminierende Praktiken bei der Nutzung von KI anwenden.
  • Prinzip der Transparenz und Erklärbarkeit
    KI-Modelle sollten nachvollziehbar und erklärbar sein, insbesondere in Anwendungen mit großer Bedeutung für die Betroffenen.
    Dazu gehört auch die vollständige Transparenz über den Einsatz von KI durch VU, wenn sie die Geschäftsprozesse des Vermittlerbetriebes berühren.
  • Prinzip der menschlichen Aufsicht
    Angemessene menschliche Aufsicht über KI-Systeme inklusive transparenter Information über klar definierte Zuständige, Rollen und Verantwortlichkeiten sollte gewährleistet sein. Letztentscheidung und Verantwortung obliegen immer einem Menschen.
  • Prinzip der Datenverwaltung, Sicherheit und Integrität
    Die Datenverwaltung sollte präzise und sicher sein. Sie sollte den gesetzlichen Anforderungen, insbesondere des Datenschutzes entsprechen.
  • Prinzip der Robustheit und Leistungsfähigkeit
    KI-Systeme sollten robust und leistungsfähig sein.

Der BVK geht davon aus, dass der Einsatz von KI in der Versicherungswirtschaft neben den etablierten auch neue ethische Herausforderungen mit sich bringt. Diese werden insbesondere in Bezug auf Wettbewerb, Fairness und Nicht-Diskriminierung erwartet. Entsprechend der überragenden sozialpolitischen Aufgabe der Vermittler wird die Notwendigkeit des Schutzes des vertrauensvollen Verhältnisses zu den Kunden betont.

3. Reformpläne zur privaten Altersversorgung

Eine weitere Herausforderung im Vertrieb ist die langjährige Hängepartie bei der Reform der privaten Altersvorsorge, zu der die Bundesregierung nun ein Reformpaket vorgelegt hat. Trotz inhaltlicher Kritik begrüßen die Vermittler, dass zumindest einige der eingebrachten Vorschläge Berücksichtigung gefunden haben.

Begrüßenswert ist die Beibehaltung des 3-Schichten-Modells und der Bestandsschutz für laufende Riester-Verträge sowie eine stärkere Flexibilisierung in der Auszahlungsphase. Zudem wird die Abkehr von der Idee eines Staatsfonds außerordentlich begrüßt.

Skeptisch beurteilen wir die Pläne, die Altersvorsorge über sogenannte Altersvorsorgedepots den volatilen Kapitalmärkten zu überlassen. Denn Renten und Mindestgarantien sind für die Absicherung des Langlebigkeitsrisikos bei der Altersvorsorge für die Planbarkeit der Bürger enorm wichtig. Daher begrüßen die Vermittler, dass auch Versicherungslösungen und Verrentungsmöglichkeiten eingebunden werden können. Zudem wird die geplante deutliche Anhebung der steuerlichen Förderung außerordentlich begrüßt.

Nach Ansicht des BVK sollte flankierend das – mit 16 Millionen Vorsorgesparern – bestehende Riester-System reformiert, entbürokratisiert und vereinfacht werden. So sind Garantieabsenkungen in der Ansparphase längst überfällig sowie eine Einbeziehung der Selbstständigen sinnvoll auch im Rahmen einer möglichen Vorsorgepflicht für Selbstständige mit Opt-Out Möglichkeit.

Die Vermittler fordern, dass nun alle Riester-Sparer endlich Klarheit erhalten, wie es genau weitergeht. Denn über kaum eine andere Vorsorgeform wurde in den letzten Jahren derart viel diskutiert. Daher fordern wir, die Reformvorhaben zügig umzusetzen. Der BVK wird im Interesse der Vermittler das anstehende Gesetzgebungsverfahren eng begleiten.

4. Der Exklusivvertrieb im Wandel

Weitere Veränderungen kommen hinsichtlich einer breiteren Öffnung des Exklusivvertriebs für Ventillösungen auf die Vermittler zu. Erste Versicherer wandeln bereits ihren Exklusivvertrieb zu Mehrfachagenturen um. Damit steht den Vermittlern eine breitere Produktpalette zur Verfügung, was wiederum deren Position im Markt stärken kann. Insbesondere vor der Erwartung, dass es zukünftig deutlich weniger Vollsortimenter geben wird als heute.

Auch im Bereich der Exklusivvermittlung erleben wir, ähnlich wie im Maklermarkt, eine Fokussierung auf größere Einheiten über Bestandsnachfolgen und Integrationen. Die größeren und stabileren Einheiten sind gut für die Branche und die Kunden. Daneben gibt es aber genauso noch kleinere Einheiten, die sich zunehmend auf Ausschnittsbereiche fokussieren werden.

Was alle Vermittler eint, ist die Herausforderung Nachwuchs zu finden. Im Zuge der gesamten Automatisierung, der KI und des World Wide Web werden die Verbraucher künftig noch mehr den Rat des empathischen Vermittlers schätzen, der die Informationsüberflutung vereinfacht und einen begründeten Rat in einfacher Sprache zu einer komplexen Thematik erteilt. Und davon wird es in fünf bis zehn Jahren noch deutlich weniger geben als die heutigen ca. 184.000 Registrierten, was diesen Chancen zu mehr Marktanteilen eröffnen könnte.

5. Fazit

Die Versicherungsbranche steht weiterhin vor erheblichen regulatorischen Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf die Diskussionen um Provisionsbegrenzungen und die umfassende EU-Regulierung.

Die geplante Reform der privaten Altersvorsorge bringt sowohl positive als auch kritisch betrachtete Elemente mit sich, wobei eine zügige Umsetzung und Klarheit für Riester-Sparer von den Vermittlern gefordert wird.

Der teilweise stattfindende Wandel des Exklusivvertriebs zu Mehrfachagenturen sowie die zunehmende Bedeutung größerer Vermittlereinheiten stellen weitere wichtige Veränderungen im Versicherungsvertrieb der Zukunft dar.

Auch der Einsatz von KI im Vertrieb wird als potenzieller „Gamechanger“ erkannt, mit Chancen zur Effizienzsteigerung und Risiken, die es zu bewältigen gilt. Der BVK setzt sich für eine ethische und verantwortungsvolle Nutzung von KI im Versicherungssektor ein und wird diesen Prozess aktiv begleiten und gestalten und dabei weiterhin den Grundsatz „Kein Vertrieb ohne persönliche Beratung“ betonen.

Bonn, den 9.10.2024